Die Braut heißt Christoph

Homosexualität: Eine Liebe wie jede andere?

Die Braut heißt Christoph - Homosexualität: Eine Liebe wie jede andere? Ein Essay von Gerd Havenith, Eupen

Undd wenn ein Mann einen Mann liebt, soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt, denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt. Und wenn eine Frau eine Frau liebt, soll sie sie lieben, wenn sie sie liebt, denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt… (André Heller)

Die Homosexualität, die Liebesneigung zum eigenen Geschlecht, ist ebenso wie die Heterose­xualität ein Teil unserer natürlichen bisexuellen Anlage. Das kleine Kind macht noch keinen scharfen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Bis in die Reifezeit hinein bleibt bei Kna­ben wie bei Mädchen eine gewisse Unsicherheit der geschlechtlichen Identität bestehen. Zwi­schen dem Beginn der Pubertät und dem Abschluss der Reifezeit äußern sich gleichge­schlechtliche Neigungen noch recht offen, so in schwärmerischen Freundschaften zu Gleich­altrigen oder in der liebevollen Bindung eines Jünglings an einen „Meister“. Zu diesen Bin­dungen trägt die Un­sicherheit bei, die dem anderen Geschlecht gegenüber besteht.

In diesem Lebensabschnitt verhelfen die mann-männlichen Bindungen, die eigene Männlich­keit zu entwickeln. Oft werden sie in Männerbünden (Jugendgruppen, Sportvereinen) organi­siert, in denen auch die dem Manne zugeordnete Aggressivität Ausdruck findet. Es gehört zur Ge­schlechtsrolle, die hier eingeübt werden soll, dass Jünglinge ihre Gefühle füreinander kaum in Zärtlichkeiten zugeben dürfen, während in den gleichgeschlechtlichen Beziehungen der Mäd­chen die „Sentimentalität“, die für weiblich gilt, eher gefördert wird.

Diskriminierung

Überhaupt gibt es eine viel stärkere Abwehr gegen Ausdrucksformen der Homosexualität beim Manne. Das hängt zunächst mit dem bisweilen praktizierten Analverkehr zusammen, der bei Heteros (obgleich er auch bei ihnen manchmal vorkommt) meistens auf Ablehnung und Ekel stößt. Das hängt ferner mit der Auffassung zusammen, dass der Mann seine Sexualität nur in den Dienst der Fortpflanzung stellen dürfe. Dabei schlafen Mann und Frau auch nicht jedes Mal mit der Absicht zusammen, ein Kind zu zeugen.

In der Antike dachte man anders darüber. Erst seit dem Siegeszug des Christentums hat die Moral die Sexualität an die Ehe binden wollen und jede andere geschlechtliche Betätigung als Unzucht verdammt. Dabei hat Jesus von Nazareth nach den uns bekannten Evangelien nie ein Wort gegen die Ho­mosexualität gesagt. Es gibt sogar Exegeten, die Jesus eine homosexuelle Komponente unter­stellen. Man denke nur an seinen Lieblingsjünger Johannes. Es ist jedoch müßig, über die se­xuelle Ausrichtung des Erlösers der Christen zu spekulieren. Ob er nun asexuell („ohne Erb­sünde“), autosexuell, bisexuell, heterosexuell oder homosexuell gewesen ist: uns fehlt jeder Beweis.

Tatsache ist, dass die männliche Homosexualität in unserer Gesellschaft, vor allem auf dem Lande, noch häufig belächelt, diskriminiert und als Todsünde ver­dammt wird. Abwertende Ausdrücke wie „Linkser“, „Schwuchtel“, „Tunte“ oder noch schlimmere sind Zeichen von sozialer Verachtung.

Gewiss kann ein Mann, der nichts für das gleiche Geschlecht verspürt, homosexuelle Neigun­gen nicht nachempfinden. Trotzdem wäre mehr Toleranz angesagt, doch diese hört häufig be­reits beim Nachbarn auf. Man akzeptiert vielleicht noch, dass Künstler und Stars homosexuell sind, aber nicht der Angestellte, Arbeiter, Handwerker oder Selbständige von nebenan. Der­weil findet man Homosexuelle in allen Berufs- und Bevölkerungsgruppen sowie in allen Menschen­rassen.

Leider stehen nur vereinzelte bekannte Persönlichkeiten zu ihrer Homosexualität. Wer weiß schon, dass von Frauen umschwärmte und begehrte Stars wie beispielsweise David Cassidy, Thomas Fritsch oder Michel Polnaref, um nur drei zu nennen, homo- bzw. bisexuell sind?

Kastration

Die alten Griechen sahen in der liebevollen Bindung zwischen Männern, vor allem zwischen einem reifen Mann und einem heranwachsenden Jüngling, eine besonders hohe Form der Liebe, weil sie mit geistiger Freundschaft gepaart war und eine erzieherische Funktion hatte.

Seit der Zeitwende und bis heute werden im abendländischen Kulturraum die homosexuellen Neigungen von der Erziehung unterdrückt. Damit verschwinden sie nicht. Aus der Verdrän­gung äußern sie sich in unkenntlichen Formen, so in Symptomen der Neurose oder in sexuel­len Abweichungen, deren Objekt noch das andere Geschlecht zu sein scheint. Oft wird die eigene homosexuelle Anlage überdeckt durch eine panische Furcht vor Homosexualität (Ho­mophobie) und durch eine wütende Verfolgung all derer, die sie offen zugeben.

Können die homosexuellen Tendenzen in Freundschaft vergeistigt werden, erhalten sie einen hohen sozialen Wert. In Notsituationen, so vor allem in Gefangenschaft, zeigt sich oft, dass die homosexuelle Befriedigung relativ leicht und schnell an die Stelle der heterosexuellen treten kann. Auch gibt es viele Männer, die ständig zwischen Heterosexualität und Homose­xualität wechseln (Bisexualität d.h. zwiespältige Zweigeschlechtlichkeit).

Die ausschließliche Zuneigung zum eigenen Geschlecht jedoch ist zugleich als Abwehr des an­deren Geschlechts zu verstehen. Dann sind die heterosexuellen Anlagen verdrängt, bis zur Un­kenntlichkeit verwandelt oder zu zwischengeschlechtlichen Freundschaften ohne sinnli­chen Ausdruck vergeistigt.

Nahezu alle homosexuellen Männer hatten eine sehr starke Beziehung zur Mutter und ein ge­spanntes Verhältnis zum Vater. Man hat dann den Eindruck, dass es die Bindung an die Mut­ter unmöglich gemacht hat, eine andere Frau an ihre Stelle zu setzen.

Aber der tiefste Grund der Abkehr von der Frau liegt im Kastrationskomplex. Die kindliche Entdeckung, dass die Frau keinen Penis besitzt, wirkt wie eine Bestätigung der wirklichen oder vermeintlichen Drohung mit der Kastration als Strafe für verbotene kindliche Sexualakte (z.B. Selbstbefriedigung). Von da an kann die „kastrierte“ Frau als Mahnung an die Kastrati­onsge­fahr wirken, und eben deshalb wird sie gemieden. In der Beziehung zu einem Jüngling sucht der homosexuelle Mann einen Penisbesitzer, der doch auch weibliche Züge trägt.

Zugleich hilft ein Mann als Freund und Partner, die eigene Männlichkeit zu bestärken. Des­halb sind keineswegs alle Beziehungen zwischen homosexuellen Männern durch eine Rollen­vertei­lung nach dem Muster des Verhältnisses zwischen Mann und Frau gekennzeichnet. Oft wird die Liebe von einer Art Rivalität, einem männlichen Wettbewerb begleitet. Darin kann sich dann auch eine männliche Aggression ausdrücken.

In Ausnahmefällen geht die ausschließliche Homosexualität eines Mannes auf eine starke Va­terbindung zurück. Dann liegt in ihrem Hintergrund die Idee, dass man dem Manne nach sei­nem Vorbild die Frau ersetzen müßte, was nur möglich erscheint, wenn man sich zur Kastra­tion be­reitfinden würde. Meist wird die Verweiblichung nur gespielt, so bei Transvestiten, welche die weibliche Geschlechtsrolle in Kleidung und Gebaren annehmen. Manchmal wird sie künstlich verwirklicht, so bei den Transsexuellen, die durch eine Operation die äußeren Geschlechts­merkmale des Mannes entfernen und eine Nachbildung der äußeren weiblichen Geschlechts­merkmale anfertigen lassen.

Penisneid

Bei der ausschließlichen weiblichen Homosexualität steht als Motiv im Vordergrund die Ab­lehnung der Rolle, die der Frau in der Sexualität teils von der Natur, teils von der Tradition, zugeteilt ist. Hier steht die Angst vor dem Manne, vor seiner Aggression und Durchdringung, neben der Abwehr gegen die weibliche Passivität und Unterlegenheit. Entscheidend ist oft der sogenannte Penisneid, die Enttäuschung also, kein Mann geworden zu sein. Dann wird in ho­mosexuellen Beziehungen eine Rolle als „Mann“ gesucht. Homosexuelle Frauen, die ihre Weiblichkeit betonen, suchen in ihren Beziehungen ein Verständnis, wie sie es vom Manne nicht erwarten, und die gefühlsbetonte Zärtlichkeit statt der gefürchteten männlichen Aggres­sivität. Demnach folgen auch lesbische Paare durchaus nicht immer einem Muster wie zwi­schen Mann und Frau; sie spielen miteinander gerade so oft „Kind und Mutter“ und wieder­holen so die erste (gleichgeschlechtliche) Liebesbeziehung.

Genie

Dass die ausschließliche Homosexualität eine Abwehr darstellt, wird in ihrer häufigen Vergei­stigung deutlich. Viele Männer und manche Frauen, deren Neigung hauptsächlich dem eige­nen Geschlecht galt, haben ihrer „Homophilie“ nie offen sexuellen Ausdruck verliehen; ihre Homo­sexualität blieb rein „ideell“. Ganz unverhältnismäßig oft haben viele homosexuelle Männer und manche Frauen große kulturelle Leistungen vollbracht, auch wenn das noch lange nicht jede(r) Homosexuelle für sich beanspruchen kann. Man denke beispielsweise nur an die großen grie­chischen Philosophen, an das Universalgenie Leonardo da Vinci, an die großen italienischen Maler Michelangelo und Raffael, an die brillanten Schriftsteller André Gide, Tennesee Williams, James Krüss (Kinderbuchautor: „Thimm Thaler“), den Hermann-Hesse-Preisträger Hubert Fichte („Das Waisenhaus“), Klaus Mann („Mephisto“) oder Oscar Wilde, an die überra­genden Komponisten Benjamin Britten und Peter Tschaikowsky oder an die glänzenden Auto­rinnen Gertrude Stein und Virginia Woolf. Auch der deutsche Literaturno­belpreisträger Tho­mas Mann („Der Tod in Venedig“) und der inzwischen verstorbene Diri­gent und Kompo­nist Leonard Bernstein hatten eine Schwäche für zartgliedrige Jünglinge. Auch der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, zweifellos ein Genie seiner Zeit, soll nach neuesten Recherchen bisexuell gewesen sein.

Szene

Vor kurzem schauten wir uns in der homosexuellen Szene um. Der legendäre James Dean, dem ein Verhältnis mit Rock Hudson nachgesagt wurde, wird als „Gott“ verehrt. In den Bars, Dis­kos, Kneipen und Technoschuppen hängen überall Spiegel, die dem Narzissmus, der gerade unter jungen, schönen Homose­xuellen weit verbreitet ist, zusätzliche Nahrung gibt. Manche Jünglinge sind so ver­liebt in sich, dass sie sich am liebsten selbst im Spiegel küssen würden. Auf einem Gay-Fest in Köln („Die Königsburg“) entdeckten wir bekannte Schlagerstern­chen, Schauspieler, Showmoderatoren und Stars, die sonst oft von Frauen umringt werden. Später spra­chen wir mit Strichjungen, die bisweilen nicht homosexuell empfinden und für Geld ihren Körper verkaufen.

AIDS

Dass die Homosexuellen wieder Angst haben müssen, ist ohne Frage auf die Immunschwäche­krankheit AIDS zurückzuführen. Für die Ausbreitung macht man vor allem die Homosexuellen verantwortlich, obgleich promiskuitives Verhalten (häufiger Wechsel des Geschlechtspartners) auch bei Heterosexuellen anzutreffen ist. Selbst in der einst so freizügi­gen Filmmetropole Hol­lywood feiert die Homosexuellenhetze traurige Triumphe. „Outing“ heißt das neue Stichwort, nach dem dort das Intimleben berühmter Künstler ans Licht der Öf­fentlichkeit gezerrt wird - und immer mehr namhafte Stars so in den „Ruch“ geraten, homose­xuell zu sein.

Literatur

An der wissenschaftlichen Literatur über die Homosexualität haben einen großen Anteil die Autoren, die selbst homosexuell waren und sind. Die meisten von ihnen vertreten die Auffas­sung, dass die Homosexualität angeboren und rein genetisch bedingt sei. Sie betrachten die Homosexuellen (und dazu die Transvestiten und Transsexuellen) als „drittes Geschlecht“ (Zwischenstufe). Im Gegensatz dazu sehen die Vertreter des Behaviorismus (Verhaltenspsy­chologie) in der Homosexualität ein erworbenes Verhalten, das durch eine Ein­übung hetero­sexuellen Verhaltens überwunden werden könnte. Die Praxis hat jedoch ergeben, dass ein­deutig homosexuell orientierte Menschen nicht mehr umzupolen sind. Die Psychoana­lyse sagt, dass die Homosexualität zwar angeboren ist, aber bei allen Menschen ohne Ausnah­me, und dass es von der Entwicklung bis zum Abschluss der Reifezeit abhängt, ob sie verdrängt, vergeistigt, neben der Heterosexualität offen ausgedrückt wird oder die Neigung zum anderen Geschlecht überwuchert.

Nach neuesten Ergebnissen amerikanischer Sexualforscher kommt man als Homosexueller auf die Welt. Diese Neigung ist keine Krankheit, sondern kann eine Liebe wie jede andere sein, wenn sie mit geistig-seelischer Freundschaft gepaart ist. Sie ist nicht abartig oder widernatürlich, denn sie ist ebenso im Reich der Tiere zu beobachten. Sie kann sogar ein biologisches Regulativ gegen die Bevölkerungsexplosion auf unserer Erde sein.

Im Übrigen machen nach dem berühmten Kinsey-Report (repräsentative Umfrage des Sexual­verhaltens der Amerikaner) mehr als 60 Prozent aller Männer irgendwann einmal in ihrem Le­ben, vorwiegend in Pubertät (Reifezeit), gleichgeschlechtliche Erfahrungen. Die Anzahl der Homosexuellen bei Frauen wie bei Männern schwankt indes zwischen fünf und zehn Pro­zent. 

Gerd Havenith (1995)

* Unter Geistlichen sollen einer fundierten SPIEGEL-Untersu­chung zufolge bis zu 30 Prozent homophil (latent oder offen homosexuell) sein.

Fans möchten träumen, nicht wissen:

GaysF Gustav Gründgens U, O.E. Hasse U, Clark Gable U, Montgomery Clift U, Cary Grant U, Rock Hudson U, George Nader U, Werner Veigel U, Anthony Perkins U, Rex Gildo U, Freddy Breck U, Rio Reiser U, Tony Holiday U, Freddy Mercury U, Amadeus August U, Klaus Schwarzkopf U, Rainer Werner Faßbinder U, Ivan Rebroff U, Jean Cocteau U, Jean Marais U, Horst Buchholz U, Yves Saint Laurent U, Dirk Bach U, Mi­chael Jackson U, Demis Roussos U, David Bowie U, Prince U, Guido Westerwelle U, George Michael U, Jürgen Marcus, Patrick Lindner, Freddy Quinn, Alfred Biolek, Hape Kerkeling, Salvatore Adamo, Michel Polnaref, Cliff Richard, David Cassidy, Siegfried & Roy, René Kollo, Udo Lindenberg, Max Raabe, Elton John, Richard Chamberlain, Little Richard, Plastic Bertrand, Neil Tennant + Chris Lowe (Pet Shop Boys), Thomas Fritsch, Helmut Berger, Reinhard München­hagen, Wilhelm Wieben, Jürgen Draeger, Georg Preuße („Mary“), Robert Long, Lou Reed, Jürgen Draeger, Mathias Richling, Michael Heltau, Udo Kier, Robert Long, Robert Kreis, Marc Almond, Roch Voisine, Boy George, Jürgen Domian, Pierre Sanoussi-Bliss, Matthias Freihof, John Travolta, Karl Lagerfeld, Boy George, Elio di Rupo, Klaus Wowereit, Volker Beck, Thomas Hitzlsperger, Ricky Martin, Thomas Freitag, Ralf König usw.

LesbenFMarlene Dietrich U, Greta Garbo U, Katharine Hepburn U, Edith Piaf U, Barbara Stanwyk U, Josefine Baker U, Inge Meysel U, Ofra Haza U, Hella von Sinnen, Cornelia Scheel, Martina Navratilowa, Anne Will, Bettina Böttinger, Ulrike Folkerts, Joan Baez, Jodie Foster, Gloria Gaynor, Amanda Lear, Grace Jones, Gianna Nannini, Ramona Leiss usw.


„Was wir machen, ist eine Querschnittlähmung durch den Motor der gesamten Evolution“

Im Gespräch mit dem Theologen Eugen Drewermann

Wie lebt ein prominenter Autor? Wie sieht sein Haus aus? Welche teuren Möbelstücke gibt es zu bewundern? Mit solchen Fragen reiste ich nach Paderborn, wo Eugen Drewermann, Buchautor, habilitierter katholischer Theologe, Philosoph, Psychoanalytiker, Privatdozent und ehemaliger Priester wohnt. Er hatte mir ein Interview versprochen. Die Antworten auf die Fragen, die ich mir gestellt hatte, waren überraschend: Eugen Drewermann wohnt im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses an einer eher stark befahrenen Ringstraße Paderborns. Möbelstücke sind in erster Linie Regale. Denn Tausende von Büchern müssen in der Wohnung untergebracht werden. Drewermann lebt sehr bescheiden, aber beim Bücherkauf kann er sich oft nicht zurückhalten...

Was bedeutet für Sie der biblische Satz „Macht Euch die Erde untertan“?

Dieser Satz aus Genesis 1,28, 29 zählt zu den folgenschwersten Irrtümern der Bibel. Manche Theologen werden betonen, dass „Macht Euch die Erde untertan“ nicht bedeutet, man bekomme nun ein Recht auf schrankenlose Ausbeutung der Natur. Aber tatsächlich geht es um einen Herrschaftswillen, den der Mensch als Ebenbild Gottes über die Schöpfung legen soll. Diese Interpretation ist bis heute vielleicht das einzige Gebot Gottes, das wir wirklich gehalten haben. Der Machtwille des Menschen über die Kreatur ist maßlos, das Recht, das wir uns zueignen, mit den Tieren alles zu machen, was uns vermeintlich nützt, desgleichen, und die Skrupellosigkeit einer Ethik, die nur den Begriff der Verantwortung in Richtung auf den Menschen definiert.

Nennen Sie ein Beispiel?

Die Natur hat mehr als 60 Millionen Jahre gebraucht, um den Amazonas-Urwald aufzubauen. Wer irgend an Gott glaubt, kann nicht denken, dass der Schöpfer seine Freude daran hat, dass wir genau 60 Jahre benötigen, um dieses Kunstwerk, ein gigantisches Biotop, mit Kettensägen und Brandrodung ein für alle Mal zu zerstören. Was wir machen, ist eine Querschnittlähmung durch den Motor der gesamten Evolution.

Welche Rolle hat denn der Mensch in der Natur?

Die Rolle, die er hat, ist uns zum ersten Mal merkwürdigerweise nicht von Theologen, sondern von Biologen, sprich durch Charles Darwin im Jahre 1856 in dem Buch über die Entstehung der Arten bekannt geworden. Und darin liegt das Problem: In Indien hätte die Erkenntnis, wie tief der Mensch in den Gang Welt hinein verwoben ist, wie sehr er nur selber eine Welle im Ozean des Lebens darstellt, keinen religiösen Schock auslösen müssen. Ganz im Gegenteil: Diese Erfahrung und Einsicht entspräche durchaus dem hinduistischen oder schambramanischen Weltbild. Im Christentum war die Rückerinnerung an die Herkunft des Menschen aus dem Gang des Lebens auf dem Planeten Erde so viel wie der Einbruch des Atheismus. Eine Auflösung der Würde, die der Mensch sich vollkommen narzisstisch bis dahin zugesprochen hatte. Die Folge ist: Wir haben Charles Darwins Erkenntnis nicht genützt, um weiser zu werden oder um unsere Ethik zu korrigieren, sondern wir haben alles benützt, was wir naturwissenschaftlich über die Natur gelernt haben, zum Herrschaftswissen für eine verbesserte Ausbeutung. Wir erobern jetzt mit technischen Mitteln den Platz zurück, den uns eigentlich das naturwissenschaftliche Weltbild genommen hat. Wir füllen die Lücke des Sinnverlustes heute mit praktikablen Machbarkeiten der Produktion und des Konsums. Wir schieben den Markt an die Stelle, wo eigentlich ein verantwortlicherer Umgang mit den Tieren, mit den Pflanzen, aus denen wir selber kommen, notwendig wäre.

Kann man den Umgang befehlen? Brauchen wir eine Notstandsgesetzgebung für die Natur?

Der Notstand ist da. Wir rotten jeden Tag etwa 150 Tier- und Pflanzenarten aus. In schätzungsweise zehn Jahren wird es frei lebende Orang-Utans nicht mehr geben. In spätestens 20 Jahren darf man dasselbe Schicksal für die Schimpansen in Afrika vermuten. Kurz: Wir reißen sogar die Wurzeln aus, die uns im Verlauf der letzten sechs bis zehn Millionen Jahre selbst hervor gebracht haben.

Die Lebewesen, an denen wir unsere eigene Herkunft, mithin auch das Verständnis für unsere eigene Psyche, gewinnen könnten, vernichten wir gerade im Augenblick.

Das alles machen wir im Wahn, wir könnten ja, wenn wir nur das genetische Material auf die Bank legen, nach Bedarf wieder Rückzüchtungen vornehmen, oder sogar wild herumexperimentieren, wir wären selber schöpferisch. Von der vernetzten Form der Vernunft eines Biotops haben wir nicht die geringste Kenntnis.

Wir haben uns vielleicht, wenn wir großzügig sind, von dem Bestand an Wildkräutern 15 - 20 Lebensformen zur Lebensgrundlage machen können. Mais, Maniok, Kartoffeln und so weiter. Der brasilianische Urwald würde wahrscheinlich hunderte von essbaren und nutzbaren Pflanzen und Kräutern aufweisen. Wir werden sie gar nicht erst kennen lernen! Wie viel an pharmazeutischen Möglichkeiten schlummert in einem Urwald, würden wir ihn mit Bedacht und Vorsicht langsam kennen lernen. Stattdessen glauben wir, jeden Verlust der Natur kompensieren zu können.

Und: Wir haben bis heute nicht die geringste Absicht, die Bevölkerungsexplosion einzudämmen. Die älteren unserer Leser sind noch in eine Welt hinein geboren, sagen wir um 1940, wo wir bei 2,5 Milliarden Menschen standen. Das war ungefähr die Zahl, die wir uns beim heutigen Stand der Technik und einem einigermaßen gerechten Gleichgewicht der Verteilung an Konsumgütern ohne nachhaltigen Schaden an der Natur leisten könnten. Wir stehen aber heute bei sechs Milliarden!

Mächtige Kirchenführer wie Johannes Paul II. und der jetzige Papst, damals als Sekretär der Glaubenskongregation, bekamen es fertig zu erklären, dass die Warnung vor der Bevölkerungsexplosion eine übertriebene, pessimistische Ansicht sei. Man hat bei der letzten Weltbevölkerungskonferenz in Kairo im Verein mit amerikanischen Fundamentalisten und persischen Ayatollahs ein weltweites Geburtenkontrollprogramm storniert, boykottiert. Mit der Folge weiteren gigantischen Wachstums um hunderte von Millionen Menschen, die nicht wissen, wie und wo sie leben sollen. Und dabei nahmen sie eine weitere irreparable gigantische Zerstörung der Natur in Kauf. Sie spielt in dieser christlich-ethischen Optik scheinbar keine Rolle. Weniger Menschen, damit Meerkatzen und Schimpansen überleben könnten, ist absurd für ihre Perspektive der Gottseligkeit. Wann definiert man mal das Schöpfungswerk Gottes so, dass es statt „Legitimation zur Zerstörung“ „Pflicht zur Bewahrung“ auflädt?

Das heißt, da gibt es viel zu tun für die katholische Kirche?

Sie müsste selber ihre ganze Tradition infrage stellen! Sie hat auch damit zu tun, dass die meisten katholischen Länder im Süden - Spanien, Italien, Frankreich - mit Singvögeln auf eine Art umgehen, die Naturschützer nur erschrecken kann. Die durchziehenden Vogelstraßen sind bekannt, man schießt, man leimt, man tötet, wie wenn das jagdbares Wild wäre, das man gerade noch braucht für den Kochtopf. Es ist die reine Barbarei und Skrupellosigkeit. Wir wollen gar nicht reden vom spanischen Stierkampf. Wir wollen nicht davon reden, dass man in den südlichen Ländern mit der Natur immer noch so umgeht wie im Erbe der alten Römer.

Muss sich die Kirche also mehr einmischen in die ganz normalen Lebensumstände?

Sie müsste, was sie offenbar nicht will! Es ist so appetitlich, Gott dafür zu danken, dass man nun den Hasen auf dem Tisch hat. So bin ich selber groß geworden, und so hass’ ich es. Es ist weder weise noch gütig, es ist grausam und ignorant.

Seit wann sind Sie Vegetarier?

Das ist nicht auf einen Schlag geworden, aber ich hatte zunehmend Skrupel. Schon in den 50ern, ich war damals 13, 15, 18 Jahre, und das Paradox war, dass - wen immer ich fragte von den Theologen, sei es den Vikar, den Pastor -, ich dahin belehrt wurde, es sei halt Gottes Wille: Ein Lebewesen lebt vom anderen, so ist das eingerichtet, und uns Menschen hat er das zur Verfügung gestellt. Diesen Irrsinn hat man 1992 noch in den Weltkatechismus für eine Milliarde Katholiken gedruckt: So soll man glauben! Es gibt da keine Skrupel, es ist der Wille Gottes, und man muss ihm für die großzügige Gnade danken, dass man gerade eines der Tiere hat töten dürfen, weil sie doch so schmackhaft sind! Mitleid ist da offensichtlich fehl am Platze.

Ich brauchte den indischen Kulturkreis, die Lektüre des Buddha, um eine Erlaubnis zu finden, mein Problem zu haben. Im ganzen christlichen Abendland gibt es für diese Frage nicht einmal ein Problembewusstsein, das musste ich damals lernen. An der Stelle muss das ganze Christentum von den Naturreligionen, den Indianern, von Buddhisten, Weisheit gewinnen, um den Anschluss an die eigenen im Bereich der Naturwissenschaften längst gefundenen Erkenntnisse zu finden.

Wir bräuchten im Erbe Darwins eine Ethik, die der Tatsache Rechnung trägt, dass uns vom Schimpansen weniger als zwei Prozent des Genoms unterscheidet. Was machen wir mit Tieren, die fühlen können wie Menschen, tanzen, lachen, traurig sein, wütend sein, zärtlich sein können, was für Rechte haben wir, damit umzugehen, wie wenn das Reflexmaschinen wären ohne Seele?

Unter welchen Voraussetzungen können wir denn Tiere nutzen?

Ich glaube, es ist vertretbar, von Tieren das zu nehmen, was sie geben, auch wenn das allzumeist im Zusammenhang ihrer eigenen Reproduktionsfähigkeit oder Brutpflege steht. Also Eier, Milch und die Produkte, die man daraus gewinnt. Das trägt nicht zur Qual der Tiere bei, jedenfalls muss es das nicht. Die erste Bedingung allerdings, die ich daran knüpfe, ist eine artgerechte Tierhaltung.

Mich ärgert es nicht nur, ich finde es skandalös, dass wir ein Tierschutzgesetz haben, das im Umgang - zumindest - mit Wirbeltieren wenigstens, artgerechte Tierhaltung befiehlt, und wir dann folgenlos mit anschauen sollen, wie man Tiere, Hühner z.B., zu Hunderttausenden in Käfigen hält. Nur damit sie als Schlachtvieh und als Eier legende Maschinen in Frage kommen. Es ist unerhört!

Wie man - und zwar von den Landwirtschaftsverbänden - den Bauern empfehlen kann, Schweinebestände mit 6.000, 7.000 Tieren zu bevorzugen, nur weil das offensichtlich im internationalen Konkurrenzvergleich preisgünstiger aussieht. Man muss bedenken, dass diese so genannte Preisgünstigkeit sich erkauft durch die Entlassung von Arbeitskräften in der Agrarwirtschaft, mit einem gewaltigen Gülleausstoß, der die Böden und die Flüsse belastet, mit Umweltschäden, die gigantisch sind, mit einer Fleischqualität, die verdorben wird durch ständigen Eintrag von Pharmaka, um die Tiere ruhig zu stellen, um sie vor Ansteckungen zu bewahren, es ist nicht einmal verbrauchergünstig, so zu produzieren. Mir aber ist wesentlich das Mitleid mit den Tieren. Sehend, wie Tiere aufwachsen in unseren Stallungen, packt uns das reine Grauen. Und dann muss jeder, der noch nicht Vegetarier ist, sich fragen, ob er diese Art zumindest der Tierhaltung mit unterstützen will. Spätestens an dieser Stelle gehört ein enormer Widerstand der Bevölkerung in Erinnerung an den Gesetzgeber bezüglich dessen, was er selbst erlassen hat auf die Tagesordnung.

Kaufen Sie selbst ein?

Ich kauf’ mitunter selber ein, und dann ist natürlich klar: Wenn ich Eier einkaufe, dass ich die aus Freilandbeständen kaufe - wenn das nicht wieder nur eine irreführende Etikettierung ist. Ich komme von Paderborn aus seltener dazu, auf dem Lande direkt beim Bauern einzukaufen, um zu sehen, was er mit den Tieren macht. Manchmal muss man ja dem Hersteller auch glauben. Auf so etwas kann jeder achten. Und er muss wissen, dass er damit im Ganzen sogar preisgünstiger wirtschaftet, wenn er die Gesamtkosten vor Augen hat: Die Umweltbelastungen, die Arbeitslosen.

Hinzu kommt, dass wir bei der jetzigen Ernährungsform eine Doppelernährung in Kauf nehmen, indem wir zunächst einmal Nahrungsmittel produzieren müssen für die Tiere, die wir dann als Nahrungsmittel brauchen wollen. Das ist so umwegig und biologisch absurd. Wir könnten mit dem Futter für die Tiere, die uns dann als Futtermittel dienen sollen, große Teile der Hungersnot in den Ländern der Dritten Welt auf direktem Wege auffangen. Es ist also nicht nur für die Tiere, es ist auch für Millionen von Menschen eine Katastrophe, was wir da machen. Das alles - erleb’ ich freilich - schlägt nicht wirklich durch. Sollten sich die Vermutungen mancher Mediziner bestätigen, dass zu viel Fleischnahrung Darmkrebs verursacht, wäre unsere Argumentationslage augenblicklich durchschlagend. Ich möchte aber nicht, dass Menschen aus Angst um ihre Gesundheit etwas Richtiges tun, sondern wirklich aus Motiven, die ethisch begründet sind: Mitleid mit den Tieren.

Stichwort „Mitleid mit den Tieren“: Was ist zu Tierversuchen zu sagen? Geht Menschenrecht nicht vor Tierrecht?

Das Problem mit den Tierversuchen ist eine problematische, in sich tragische Fragestellung. Eh’ wir dazu kommen, gebe ich nur zu bedenken, wie der Vergleichsrahmen aussieht:

Der bloße Verdacht einer möglichen Übertragbarkeit der Bovine Spongiforme Encephalopathie (BSE) von Rindern in Gestalt der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf den Menschen hat die Gesundheitsminister der EU dazu gebracht, in den Beständen Großbritanniens vier Millionen Rinder auszurotten, zu töten, zu verbrennen. Wobei das Verbrennen die Prionen nicht zerstört, sondern absurderweise noch freisetzt. Der bloße Verdacht einer Übertragbarkeit hatte die Handlungspflicht. Die Möglichkeit, ein Mensch könnte zu Schaden kommen, muss verhindert werden, in dem man vier Millionen Tiere tötet. Und zwar solche, die man selber krank gemacht hat. Indem man völlig vegetarisch lebende Haustiere glaubte preisgünstig ernähren zu können durch Fütterung des Mehls, das man aus den Kadavern ihrer eigenen Artgenossen gewonnen hatte.

Nehmen wir ein simples Beispiel: An einem Wochenende, an dem die Ferien beginnen wird die Verkehrspolizei mit Sicherheit damit rechnen müssen, dass es zu Hunderten von Karambolagen kommt, im Inntaldreieck oder an anderen Verkehrsballungszentren, und dass bei den Hunderten von Karambolagen mindestens ein paar Dutzend Schwerverletzte, wahrscheinlich auch ein paar Tote die Folge sein werden. Das wird aber nicht dazu führen, dass man auch nur ein paar hunderttausend Autos das Fahren verbietet, um den Verkehr auszudünnen.

Sobald man’s aber mit Tieren zu tun hat, fühlenden Wesen, haben wir Menschen jedes Recht, uns zu schützen. Ja wir haben offenbar sogar die Pflicht, uns vor Tieren zu retten, die wir selbst zu Opfern unserer Willkür gemacht haben. Gegenüber der heiligen Kuh des Autos, das nun gar nichts fühlt, sind wir plötzlich völlig rechtlos, alle Rechte liegen bei der Autoindustrie.

Drum, um klar zu sehen, muss man sagen, dass die Rechte sich verschoben haben. Nachdem wir uns das Recht über die Tiere angeeignet haben, um dem Markt günstig zu sein, erleben wir jetzt gerade, dass wir selbst als Menschen auch keine Rechte mehr gegenüber dem Markt haben. Es gibt überhaupt keine Rechte, außer dem des Geldverdienens. Das bedeutet, alles, was uns umgibt, hat nur einen Wert, wenn es sich in der Geldform realisieren lässt. Bis dahin hat es keinen Wert.

Nennen Sie dafür bitte ein Beispiel?

Ein Landstrich, ein Flusslauf, ein Urwald, ein Meeresarm hat nur den Wert, den er als Verkaufsobjekt auf dem Markt erzielen könnte. Dann kommt der Meistbietende, und ihm gehört dieses Stück Erde, und er kann nun darauf machen, was er will. Er hat sogar ein Recht, unter Polizeischutz den Urwald weiter zu verwüsten, weil er für McDonalds Billigfarmen für Schlachtfleisch anlegen will. Oder weil er für die Tourismusindustrie just gerade einen Flughafen benötigt. Ob da Indianer wohnen,. ist genauso uninteressant wie, was für Tiere da leben. Ihm gehört das Land ja. Also hat er das Recht, mit dem totesten Material, dem Geld, zu töten, was er will.

Da es sich so verhält, müssten wir zunächst zur Kenntnis nehmen, dass die Mitleidlosigkeit, die wir den Tieren gegenüber praktizieren, uns auch mitleidlos macht im Umgang mit Menschen. Das ist ein psychologisch sehr tiefes Problem. Man kann Mitleid nur einmal zerstören: Hat man es nicht mehr mit den Tieren, hat man’s auch nicht mehr mit den Menschen. Ignoriert man, dass Tiere fühlende Wesen sind und setzt sich darüber hinweg, wird man mit Menschen genauso verfahren. Insofern ist der Schutz der Tiere eine Einübung auch des Respekts vor Menschen.

Nur haben wir in unserer Ethik beide Ebenen auseinander genommen. Wir sind überaus sensibel zum Beispiel in der Frage möglicher Abtreibung, selbst bei genetisch schwersten Belastungen, aber wir finden überhaupt nichts dabei, Klon-Schafe zu züchten oder mit Hybrid-Farmen zu experimentieren, wann immer ein Marktinteresse dafür sprechen könnte.

Und in diesem Zusammenhang muss man jetzt wahrscheinlich auch die Frage der pharmazeutischen und vor allem militärischen Versuche an Tieren erörtern.

Um in der Reihenfolge der Argumentation den einfachsten Weg zu beschreiten: Es ist ungeheuerlich, dass wir an Tieren Hunderttausendfach zunächst einmal studieren, wie bestimmte Waffen, Sprengstoffe, Schadstoffe, Strahlenwirkungen, Gifte, Nervengase sich in einer Weise effizient handhaben lassen, dass die sichere, schnelle und qualvolle Ausrottung beliebig vieler Lebewesen als Option für den nächsten Krieg in petto gehalten werden kann.

Wenn Ärzte beispielsweise sehen, wie man Neurotransmitter in ihrer Wirkung steigern oder blockieren kann, lassen sich daraus Medikamente ableiten. Vielleicht. Für psychische Erkrankungen. Wie aber ein Militär darauf kommt, dass man all das, was schon schädlich ist, noch effizienter machen kann, damit der Schaden tödlich und die Qual unerträglich wird, ist ein Zustand, der in einer offenen Demokratie heute noch als unerträglich beseitigt gehört. So etwas darf man nicht sehen wollen bei Tieren und darf es nicht wünschen wollen bei Menschen.

An dieser Stelle ist allein schon die Geheimhaltung, mit der das alles passiert, skandalös. Eine Demokratie muss darauf durch offene Information reagieren können. Was treiben eigentlich hinter unserem Rücken die Militärs im Umgang mit Tieren, an denen sie das Töten experimentell üben? Mit immer neuen, scheußlicheren Waffen.

Wir sind jetzt erschrocken über Milzbrand. Die wenigsten wissen, dass im Zweiten Weltkrieg 1940 genau dieses Zeug zur Ausrottung von Deutschen von Churchill schon geordert war.

Und wie beurteilen Sie Tierversuche in der Medizin?

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Forschung heute unter einem unglaublichen Profitzwang steht. Wir haben nicht mehr die Zeiten einer freien, akademischen Forschung, wo wir vielleicht aus den Qualen eines einzelnen Tieres in Ruhe wichtige Folgerungen zum Verständnis des neuronalen Netzes im Gehirn von Wirbeltieren und dann auch vom Menschen gewinnen könnten, um entsprechend dann das absolute Quantum Leid vielleicht zu verringern. Wenn dies die Aussicht und Absicht ist, glaube ich, dass wir heute auf Tierversuche noch nicht absolut verzichten können.

Und dann würden Sie sie auch akzeptieren?

Wenn sich zeigen würde, zum Beispiel, dass in der Veterinärmedizin Seuchen bekämpft werden könnten, wenn wir einzelne Tiere zum Forschungsobjekt erklären, glaube ich, dass wir manchmal aus Verantwortung, um das Schlimmste zu verhindern, manche Übel in Kauf nehmen müssten. Aber immer im Wissen, dass wir dem einzelnen Tier damit ein nie wieder gut zu machendes Unrecht zufügen und wir uns in einer tragischen Situation befinden. Aber das ist der äußerste Grenzfall! Was wir erleben ist eine Konkurrenzwirtschaft auch in der Pharmazie, wo ganz überflüssige Medikamente - oder zumindest in ihrer Wirksamkeit völlig vergleichbare, leistungsfähige Medikamente - parallel produziert werden, damit eine Firma die andere übertölpelt. Oder dass sie möglichst schnell auf dem Markt wieder die vorgeschossene Kapitalmengen retournieren sieht. Die Forscher selber werden immer wieder angetrieben, möglichst viel zu verbrauchen, um möglichst rasch Ergebnisse zu produzieren. Alles kann gar nicht schnell genug gehen. Wieder haben wir da die Verbindung von Wissenschaft mit Zielsetzungen, die außerwissenschaftlich sind. Und es würde zum Ethos jeder Art von Biologie, Neurologie, was auch immer, gehören, zunächst nichts weiter zu wollen als Erkenntnisse zu sammeln. Ohne sofort als Soldat des Kapitals fungieren zu müssen.

Ein anderes Gebiet der Tierversuche liegt in der Ausbildung der Mediziner. Vieles soll an Tieren probiert werden. Wie man operiert beispielsweise, wie man narkotisiert, damit man es an Menschen handwerksgerecht durchführen kann. Ich glaube nicht, dass wir menschlichere, bessere Ärzte erwarten können durch eine Ausbildung, die als erstes lehrt, Leid zu instrumentalisieren und dann zu neutralisieren. Die meisten Dinge, die wir den Tieren handwerklich glauben antun zu müssen, ließen sich heute längst über Computersimulationen, über technische Versuchsgeräte abarbeiten. Wir bräuchten dafür nicht mehr fühlende Wesen. Ich glaube nicht, dass wir vor allem den Biologie-Studentinnen und -Studenten den Zugang zu ihrem Fach verweigern müssten, indem eine Bedingungsauflage besteht, erst einmal an Regenwürmern durch Sektion herauszufinden, wie deren Nervensystem ist. Das steht in jedem Lehrbuch! Es lässt sich hundertfach abbilden. Es gibt an diesen Stellen überhaupt nichts Neues zu lernen, was also soll die ganze Tierquälerei? Wir haben kein Gesetz, das den artgerechten Umgang mit Mollusken und Würmern definieren würde. Trotzdem glaube ich, dass fühlende Tiere ein Recht haben, dass ihre Gefühle respektiert werden. Und für einen Regenwurm, den man seziert, ist sein ganzer Körper nichts als Schmerz.

Muss die Kirche sich da einmischen? Was erwarten Sie vom neuen Papst?

Was die Frage des Tierschutzes angeht, eigentlich gar nichts! Er hat die Entscheidung mitgetragen, dass die Schöpfungsordnung Gottes so ist, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dass er als höchstwertig betrachtet werden muss, dass ihm deswegen alles zur Verfügung steht, was er braucht. Und es ist selbstverständlich, dass ein Mensch, der neu zur Welt kommt, vor allem, wenn er in einer katholischen Familie zur Welt kommt, unendlich viel wichtiger ist als beliebig viele Meerkatzen. Der anthropozentrische Ansatz geht ja noch einher auch mit einem logozentrischen Ansatz. Man hat den Menschen aus der Natur isoliert, und man hat am Menschen das, was man Vernunft genannt hat, isoliert von den Gefühlen. Auch da zeigen uns die modernen Naturwissenschaftler, die Neurologen, dass die Vernunft unseres Denkens auf der Verknüpfung mit Gefühlen basiert.

Es gibt einen berühmten Fall, der bei einem Menschen durch einen Hirnschaden anfing, sich asozial zu verhalten. Er konnte die Korrespondenz mit seinen eigenen Gefühlsinhalten nicht mehr in planvolles Handeln übersetzen. Menschen, die nur noch denken, aber nie mehr fühlen, sind krank! Aber so definiert die heutige Kirche, die heutige Theologie immer noch den Menschen. Die Triebe, die Gefühle muss man beherrschen, als ethisches Material unter die Füße stemmen. Und Vernunft und Sittlichkeit werden geboren aus Geist und Wille. Diese Spaltungen sind absurd, sie sind neurotisch, würde man psychoanalytisch sagen, und sie sind destruktiv, weil damit auch die Verbindung zwischen Mensch und Natur im Menschen selber noch einmal amputiert wird.

Viele Verbrechen sind überhaupt nur möglich bei gefühlsgestörten Persönlichkeiten. Vernünftig im Sinne zweckrationalen Handeln sind die.

Was sollen wir von Politikern halten, die einen Atomkrieg mit in der Ouvertüre 100 Millionen Toten, 150 Millionen Toten je nach Winddrehung für verantwortlich halten? Wir haben Wahnsinnige in den höchsten Ämtern, umkleidet mit höchster Macht! Einfach, weil Gefühle mit Gedanken nicht rückgekoppelt sind. Ich denke, Gerichtspsychiater werden sagen, das ist die Struktur von Menschen, die höchst gefährdet sind und fähig zu kriminellen Handlungen. Menschen ohne Gefühle. Davon ist die Welt voll inzwischen und offenbar haben wir da sogar ein pädagogisches Auftragsziel abzuarbeiten.

So soll die Generation werden, die jetzt heranwächst: Gefühle sind schädlich, zu emotional, weichlich auch und weibisch, oder infantil, irgendwie müssen wir sie abgewöhnen, damit wir marktgerecht den Standort Deutschland sichern können. Vor dieser Zukunft graut mir, weil ich denke, wir entfernen uns mit Windeseile noch aus den letzten Korrekturstellen, die wir im Rahmen der Natur und im Rahmen der Natürlichkeit in unserer Seele zur Verfügung hätten.

Ist das in Rom auch so: Nur noch Denken, keine Gefühle mehr?

Ich weiß es nicht. Man erzählt, dass beim so genannten Zweiten Vatikanischen Konzil 1963 es üblich war, Leichenzungen zu verspeisen. Ich glaub’, das genügt als Kommentar. Man schreitet einher mit purpurnen Gewändern. Wie man aus dem Blut von Purpurschnecken das Rot gewinnt, muss ich nicht erzählen. Mitleid mit den Tieren hat es in der römischen Optik nie gegeben. Das begann mit den römischen Caesaren und hat bis heute keine kulturelle Verschiebung erlebt.

Und Sie erwarten jetzt auch keine Änderung in Rom? Zum Beispiel durch den neuen Papst.

Nein, ich glaube nicht. Woran die Kirche von Rom interessiert ist, ist die Verbesserung der Religionsstatistik! Wie sonst kann man sich erklären, dass Johannes Paul II. im volkreichsten Land Afrikas, in Nigeria, erklärt hat, dass die Warnung vor der Bevölkerungsexplosion übertriebener Pessimismus ist? Das heißt doch wohl auf Deutsch für alle katholischen Nigerianer: „Vermehrt Euch weiter so fleißig Ihr könnt! Denn sonst droht der Überhang des Islam!“ Anders macht dieser weltpolitische Irrsinn keinen Sinn. Man hat es zu tun mit dem verwalteten Gruppenegoismus, aber sicher nicht mit einer wohlüberlegten Form der Weltverantwortung. Das ist ein Fremdwort in dieser Ethik. Wenn Verantwortung, dann für die Gruppenziele, die man ausgibt für Menschheitsziele. Aber jenseits der Menschheit gibt es auch keine Ethik. Das ist wie im deutschen Idealismus: Tiere haben keine Rechte, schon deshalb, weil sie keine Pflichten haben können! Da zitier’ ich jetzt eben einen Weihbischof in Salzburg, der hat das vor einer Weile noch so ausgedrückt.

Aber natürlich haben Tiere alle Arten von Pflichten. Schauen Sie sich nur an im Frühling, was die Vögel alles tun, um ihre neue Brut groß zu ziehen. Das sind die Pflichten der Vögel. Und sie meistern sie mit erstaunlichem Engagement. Ich denk’, sie haben ein Recht zu erwarten, dass wir ihnen nicht gerade die Bäume abholzen, in die sie ihre Nester gebaut haben.

 

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