Wächter, wie lang noch ist die Nacht?

Botschaft des Lütticher Bischofs zur Fastenzeit während der Gesundheitskrise

Liebe Brüder und Schwestern,
„Wächter, wie lang ist noch die Nacht? Wächter, wie lang ist noch die Nacht?“ Dies ist die Stimme, die der Prophet Jesaja in Zeiten der Not gehört hat (Jes. 21,11-17). Sie klingt auch in unseren Ohren wieder. Wie lange wird unsere Gesundheitskrise dauern? Neuigkeiten erreichen uns jeden Tag. Wie zu Zeiten Jesajas: „Der Wächter hat gesagt: Der Morgen ist gekommen und doch ist es Nacht. Wenn ihr fragen wollt, so fragt! Kommt noch einmal!“ Dann lädt der Prophet zur Solidarität ein: „Bringt dem Durstigen Wasser, kommt dem Fliehenden entgegen mit Brot für ihn!“ Und er prophezeit den Sieg über den Feind: Er öffnet den Weg zur Hoffnung.

Auch wir erleben eine dunkle Zeit, trotz der schönen Frühlingssonne. Die weltweite Flutwelle der Coronavirus-Epidemie durchdringt unser tägliches Leben und unsere Medien. Was bleibt von unserem Leben und unseren Projekten übrig? Wie gestalten wir unsere Tage, ob alleine oder im Kreis der Familie? Wie können wir uns angesichts von Reiseeinschränkungen und technischer Arbeitslosigkeit neu organisieren? Wie kann man unter diesen Umständen die Karwoche und die Osterzeit leben?

Die Angst vor dem unsichtbaren Feind

Zunächst sind wir von Angst erfüllt: Angst um uns selbst und unsere Gesundheit; Angst um Andere und um unsere Nächsten; dann die Angst vor Anderen, die uns kontaminieren könnten; und Angst um unsere Zukunft in dieser Zeit der sozialen Lähmung. Jeder ist auf die eine oder andere Weise betroffen: in seiner Arbeit, zu Hause, in seiner Gesundheit, in seiner Moral, in seinen Beziehungen. Das Virus ist angekommen, es ist ein unsichtbarer Feind und wir versuchen uns zu schützen. Wir sind isolierter als gewöhnlich und müssen viele Dinge akzeptieren lernen. Wir müssen auch Entscheidungen treffen, uns organisieren, uns an Anweisungen halten und unseren Lebensstil anpassen. Es sieht so aus, als stünde das Weltgeschehen still, und es gibt nur noch eine einzige Information in den Medien: das Coronavirus. Alle Projekte werden zurückgestellt und verschwinden in Schubladen. Termine, die den Tagesablauf eines jeden ausmachen, werden annulliert, Besprechungen verschoben. Das Risiko besteht nun darin, sich nur noch mit sich selbst, seinen Problemen, seiner Gesundheit, seiner Familie und seinen Nächsten zu befassen.

Das Bedürfnis nach Solidarität

Wenn uns das Coronavirus jedoch eines gelehrt hat, dann dies: wir nähern uns einander emotional an. Physisch voneinander getrennt, stellen wir fest, dass wir dazu berufen sind, uns menschlich nahe zu sein. Wir entdecken neue technische Möglichkeiten, um miteinander in Kontakt zu treten. Wir sind dankbar und bewundern unsere Pflegekräfte und unsere Regierungen. Wir werden uns der Notwendigkeit einer ökologischen Beziehung zur Schöpfung bewusster. Wir fühlen uns allen näher, die auf der Welt leiden. Wir entdecken unser gemeinsames Schicksal. Die Welt wird nie wieder dieselbe sein. Sie muss solidarischer werden.

Eine zweite Sache, die wir entdeckt haben, ist unsere Zerbrechlichkeit: Es braucht nur ein kleines Virus, um die gesamte Gesellschaft lahm zu legen und eine ernsthafte wirtschaftliche und soziale Krise hervorzurufen. Jeder ist betroffen, vom Ärmsten bis zum Mächtigsten. Plötzlich sind Szenen der Not nicht mehr den armen Ländern vorbehalten, sondern haben auch die reichen Länder erreicht. Diese Krise zwingt uns, unsere wahren Werte wiederzuentdecken: den Sinn der sozialen Beziehung, den Sinn von Nüchternheit, den Sinn von Spiritualität und Glauben.

Jesus und der Tod seines Freundes Lazarus

Im Evangelium vom 5. Fastensonntag, dem 29. März 2020, sehen wir Jesus, der bei seinem plötzlich verstorbenen Freund Lazarus weint (Joh. 11,1-45). Jesus nimmt den Schmerz hin, der durch den Tod seines Freundes und die Trauer dessen Schwestern verursacht wird. Dies erinnert uns an diejenigen, die kürzlich am Coronavirus oder einer anderen Krankheit verstorben sind. Wir tragen sie in unseren Herzen, beginnend mit Pater Lech Walaszczik, Pfarrer von Chênée-Angleur-Vennes, der an einem Infarkt starb und von allen geliebt wurde. Im Evangelium schenkt Jesus nach dieser schmerzhaften Erfahrung des Todes seines Freundes Lazarus das Leben wieder. Die Auferstehung erforderte eine Inkubation. Daher ist das Leid aufgrund des Coronavirus für uns eine Zeit der spirituellen Inkubation, eine Zeit der Meditation, die uns lebenswichtige Energien geben wird, um die Zukunft zu gestalten. Es weckt spirituelle Kräfte in uns, so dass wir reagieren, überleben und uns auf neue Weise engagieren können. So werden wir unser Osterfest als einen wirklichen Tod für uns selbst und für unseren Stolz leben, um von Christus das wahre Leben zu empfangen, das ewigen Wert hat.

Unser Engagement für die Armen

Vergessen wir nicht diejenigen, die mehr leiden als wir, insbesondere die Bevölkerung von Haiti, der wir unsere diesjährige Fastenaktion widmen! Miteinander Teilen, die Solidaritäts-NRO (Nicht-Regierungs-Organisation) der katholischen Kirche, konzentrierte sich auf die Situation in Haiti. Diese sehr arme Insel, die vor zehn Jahren von einem schrecklichen Erdbeben heimgesucht wurde, konnte noch nicht wieder aufgebaut werden. Die halb zerstörte Kathedrale ist zum Symbol der Armut, aber auch des Glaubens geworden! Dynamische Gruppen beleben die Landwirtschaft mit Respekt vor Natur und Umwelt. Diese zukunftsorientierten Organisationen möchten wir mit der Fastenaktion unterstützen. Für jeden gespendeten Euro erhält die lokale Bevölkerung über das von der belgischen Regierung anerkannte Projekt fünf. Vergessen Sie daher bitte nicht die Fastenkollekte am Palmsonntag: Spenden Sie per Banküberweisung auf das Konto BE68 0000 0000 3434 von Miteinander Teilen (Entraide & Fraternité), 32 rue du Gouvernement Provisoire, 1000 Brüssel, mit der Mitteilung „6573 Fastenaktion 2020“ oder über die Website www.entraide.be/don.

Gebetsvorschläge

Diesen Freitag, den 27. März um 18 Uhr, lädt uns Papst Franziskus zu einem weltweit ausgestrahlten ökumenischen Gebet ein! Schließen Sie sich diesem Gebet über Ihren Fernseher und andere Medien an.

Ab diesem Samstag, dem 28. März, finden Sie auf der Website des Vikariats ‚Verkündigung des Evangeliums‘ (https://annoncerlevangile.be) drei Vorschläge für das Gebet zu Hause für Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag in einer Version für Familien mit Kindern und in einer Version für Erwachsene ohne Kinder. Senden Sie sie weiter und verwenden Sie sie!

Während der Karwoche können geöffnete Kirchen mit Blumen, Texten und symbolischen Gegenständen so dekoriert werden, dass sie an die Liturgie des Tages erinnern.

Am Palmsonntag, dem 5. April, gemäß dem Dokument der Bischofskonferenz, das am Montag, dem 23. März um 16.46 Uhr versandt wurde, sind wir eingeladen jeden öffentlichen Gottesdienst zu unterlassen. Aber die von den Gläubigen gepflückten und zuhause aufbewahrten Palmzweige werden als gesegnet angesehen, in spiritueller Verbindung mit den Gottesdiensten im engsten Kreis, die über die Medien verbreitet werden. Die von den Priestern bei privaten Gottesdiensten gesegneten Palmzweige werden erst nach der Aufhebung der Sicherheitsmaßnahmen verfügbar sein.

Die Chrisammesse vom 8. April wird auf ein späteres Datum verlegt.

Denken Sie daran, sich dem Applaus der Menschen anzuschließen, die sich jeden Abend um 20 Uhr beim Pflegepersonal bedanken. Zu dieser Zeit können Kirchenglocken läuten, was für alle ermutigend ist.

Hochzeiten, die auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, können ausnahmsweise auch an Sonn- und Feiertagen geplant werden.

Begräbnisfeiern müssen im Freien stattfinden, auch an anderen Orten als auf Friedhöfen, jedoch mit maximal fünfzehn Personen und mit dem geforderten Abstand.

Angesichts dieser Umstände und in Absprache mit den anderen wallonischen Bistümern bitte ich Sie, keine Kasualien-Spende für Begräbnisfeiern in dieser Zeit zu fragen. Es steht den Gläubigen frei, eine spontane Spende zu leisten, die in diesem Fall an die VoG des Pfarrverbandes oder, falls diese noch nicht besteht, in die PV-Kasse eingezahlt wird, und dies über Kostenerstattung.

Die Übermittlung der Konten der Fabrikräte kann per Post an das Vikariat für Temporäre Angelegenheiten (Dienststelle für Kirchenfabriken) geschickt oder an der Rezeption des Gebäudes „Espace Prémontrés“ (40, rue des Prémontrés) abgegeben werden. Wenn keine dieser beiden Möglichkeiten aus Gesundheits-, Sicherheits- oder Isolationsgründen möglich ist, kann ein Mitarbeiter des Kirchenfabrikrats eine E-Mail an den Bischofsvikar (e.debeukelaer@catho.be) senden, in der dies erläutert wird. In diesem Fall findet die Kontenprüfung zu einem späteren Zeitpunkt statt.

Die Ausstrahlung und Verbreitung der Liturgiefeiern über die verschiedenen Kommunikationsmittel wird geschätzt und empfohlen (RCF, YouTube, Facebook, KTO, usw.). RCF (auf FM 93.8, online) überträgt die Messe an Wochentagen um 19 Uhr. Die Freitagsfeiern sind ökumenische Gottesdienste. Am Freitag, dem 3. April, wird ein interreligiöser Gottesdienst mit Rabbi Joshuah NEJMAN, Iman Franck HENSCH und mir übertragen. Samstags um 17 Uhr wird die Sonntags-Eucharistie ausgestrahlt. Für die Deutschsprachigen wird ab dem Montag der Karwoche (6. April) täglich um 19 Uhr eine Gebets- und Meditationszeit auf BRF2 ausgestrahlt. Die Ostermesse am 12. April wird um 10 Uhr in einem BRF-Studio gefeiert und live auf BRF2 übertragen.

Die Botschaft der Hoffnung

„Deine Wächter rufen laut mit ihrer Stimme und rühmen miteinander; denn man wird's mit Augen sehen, wenn der HERR Zion bekehrt“ (Jes. 52.8)

Das Böse wird nicht das letzte Wort haben, die Angst wird nicht triumphieren, die Liebe wird siegen. Wie wir bei jeder Eucharistie sagen:

Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen

und gib Frieden in unseren Tagen.

Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen

und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde,

damit wir voll Zuversicht

das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.

 

Ihnen allen einen besinnlichen Weg nach Ostern!

Lüttich, den 26. März 2020

 

Jean-Pierre Delville, Bischof von Lüttich

 

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